Rund 4000 Menschen, laut Mitteilung der Polizei, sind dem Aufruf des Vereins Integration in Singen (inSi) zur Kundgebung gegen Rechtsextremismus, gegen Hass und Hetze, für eine bunte, solidarische Stadt gefolgt und am Samstagvormittag in der Singener Fußgängerzone zusammengekommen.
Es dürfte wohl eine der größten Versammlungen gewesen sein, die in den letzten Jahrzehnten hier in Singens Fußgängerzone zusammengekommen ist. Nur gut, dass der ursprünglich vorgesehene Kundgebungsort vor der Lutherkirche noch rechtzeitig verlegt werden konnte. Schon die beeindruckende Liste von über 60 lokalen Organisationen, Vereinen, Verbänden, Initiativen, Parteien, sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie Einzelpersonen als Unterstützer:innen des Aufrufs zur Kundgebung ließ erahnen und hoffen, dass auch in Singen viele Bürgerinnen und Bürger bereit sein würden, Flagge zu zeigen gegen braune Aktivisten und Anhänger:innen rechtsextremer Parteien.
Die Organisatoren der Kundgebung um Bernhard Grunewald, Mona Schramm (Vorsitzender und 2. Vorsitzende von inSi), Wolfgang Heintschel (Caritasverband Singen-Hegau und Mitglied des Forums der Religionen) sowie Klaus Mühlherr (DGB Kreisvorsitzender Konstanz) hoben hervor, dass bewusst der heutige Tag, 27. Januar, gewählt worden sei – der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust und die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Buchenwald vor 79 Jahren.
Die Gefährdung unserer Demokratie durch erneut erstarkende rechtsextreme Parteien, das unverhohlene Verlautbaren diktatorischer Machtfantasien und die Verbreitung rassistisch-menschenverachtenden Gedankengutes stand auch hier – wie schon bei den vielen Kundgebungen andernorts – im Vordergrund der knappen, aber deutlichen und unmissverständlichen Redebeiträge. Und daraus resultierend folgte auch der Appell, bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni demokratische Parteien zu wählen. So Bernhard Grunewald: „Es liegt an uns, ob wir die Wahlbeteiligung nach oben bringen oder ob wir anderen Ihr Kreuz am Wahlsonntag überlassen.“
„Den rollenden Schneeball zertreten“ – Zitate aus Redebeiträgen
Guiseppe Femia vom Jugendkomitee Singen: „Heute appelliere ich an alle Jugendlichen da draußen, lasst euch nicht einschüchtern, seid mutig und kämpft für eure Zukunft, denn ihr seid am Ende diejenigen, die das tragen müsst, wenn eine antidemokratische und diskriminierende Politik unsere Leben beeinflusst.“
Klaus Mühlherr, DGB Kreisvorstand Konstanz, rief ins Bewusstsein, wie es entsprechend dem perfiden Remigrations-Plan in Singen aussähe, wenn jede:r zweite Bürger:in fehlen würde: „Sie müssen wieder lernen, Reißverschlüsse an Ihre Hosen zu nähen. Sie müssten, wenn Sie sich ein Restaurant fürs Essen suchen wollen, länger rumlaufen. Und die, die noch aufhaben, denen fehlt die Bedienung. Also müssen Sie wieder selber kochen. Hat den Vorteil, Sie werden vielleicht nicht so schnell krank, denn im Krankenhaus herrscht auch Personalnot. Keine Ärzte, keine Pfleger – also bleiben Sie gesund, sollten andere Meinungsführer werden. Und natürlich wird es auch in den Betrieben eng. Die Hälfte der Belegschaft fehlt. Sie müssen also doppelt so viel arbeiten. Herzlichen Glückwunsch!“ … „Und wenn Sie wissen wollen, wie es aussieht in einer Gesellschaft, in der keine Demokratie herrscht: die Portugiesen haben sich vor 50 Jahren von der Militärdiktatur befreit. Die Griechen haben sich befreit vor 50 Jahren, danach die Spanier. Überall herrschte keine Demokratie, sondern Diktatur, und es ist verdammt schwer, sich von der Diktatur zu befreien. Also tun wir alles, um die Demokratie zu erhalten. Und Demokratie zu erhalten heißt nicht, einmal im Leben auf ’ne Demo zu kommen. Demokratie heißt, kein Hass zu linken, kein Hass zu streuen und Respekt gegenüber jedem Menschen zu bewahren. Das sind die Grundpfeiler der Demokratie.“
Paula Mendes, in Singen geborene Tochter portugiesischer Eltern, die in den 1960er-Jahren als „Gastarbeiter“ nach Singen kamen, als Sprecherin für die portugiesische Gemeinde: „Wir haben die Schule hier besucht, wir haben unsere Kindheit hier verbracht, wir haben Freunde und sogar unsere Lebenspartner hier gefunden. Wir haben sehr viel Akzeptanz gefunden. In den Schulen wurden wir gefördert. Wir wurden in jedem Bereich unterstützt, den man sich denken kann. Und wir sind nicht mehr ‚die Portugiesen‘, wir sind ein Bestandteil dieser Stadt Singen, und so fühlen wir uns auch!“
Bernd Häusler, Oberbürgermeister von Singen, appellierte, gemeinschaftlich „gegen diese Rechtsextremisten, die uns unter buntes Singen nehmen wollen und die uns unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wegnehmen wollen“ vorzugehen. Es gelte weiter gegen diese Rechtsextremisten Front zu machen und diesen Rechtsextremismus auszutrocknen. Seine bildhafte Warnung mit Blick auf in den nächsten Monaten und Jahren kommende Wahlen: „Jeder hat nur ein Kreuz. Aber mit diesem Kreuz haben Sie eine unglaubliche große Verantwortung. Eine Denkzettelwahl kann in den Hose gehen und kann sich gegen jeden selbst richten. Und dann haben wir (sprichwörtlich) den braunen Dreck in der Hose.“
Andreas Jung, CDU-Bundestagsmitglied, erinnerte an den Zentrums-Politiker Matthias Erzberger in der Weimarer Republik. Nach einer rechtsnationalistischen Hetzkampagne wurde Erzberger von Rechtsterroristen ermordet. Die nach ihm benannte Straße in Singen solle uns Mahnung sein: „Aus Worten können Taten werden, aus Hetze kann Verbrechen werden. Aber so etwas darf es niemals mehr geben und deshalb stehen wir heute gemeinsam hier.“
Hans-Peter Storz, SPD-Landtagsabgeordneter, Mitglied des Gemeinderats Singen, des Kreistags Konstanz und Sprecher der Singener Stolperstein-Initiative: Die „Deportationspläne“ auch für ihn der Beweis, dass das nationalsozialistische Gedankengut wieder in der Mitte angekommen ist, wogegen man „anstehen und aufstehen“ müsse. Er zitierte aus Erich Kästners Text Über das Verbrennen von Büchern: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“
Oguz Akbudak, Mitglied des Hegauer Kulturvereins Singen, lebt seit 40 Jahren in Deutschland und seit 25 Jahren in Singen: „Wir sind solidarisch mit allen Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion und Weltanschauung. … Wir rufen zu einer Haltung des friedvollen Widerstands auf, die unseren gemeinsamen Werten von Respekt und Menschlichkeit entspricht. Ich gehöre einfach hierher und ich werde auch hier bleiben, egal was passiert.“
Der Protest gegen braune Antidemokrat:innen geht weiter
Mit kleinen Texten der vier Religionsgemeinschaften Buddhismus, Christentum, Judentum und Islam, vorgetragen von Vertreter:innen des Forums der Religionen, das sich für interreligiösen und interkulturellen Dialog einsetzt, und einem gemeinsamen Schlussgebet ging diese Kundgebung nach einer Stunde zu Ende.
Der Protest gegen braune Antidemokrat:innen wird aber weitergehen. Am Mittwoch, 31. Januar, 17.00 Uhr, wird auf dem Marktplatz in Radolfzell eine weitere Kundgebung stattfinden.
Text: Uta Preimesser / Fotos Dieter Heise, Uta Preimesser
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